Aktuelles

2009-03-23

Offener Brief vom Dr. Käbisch an Sup. Müller

Dr. Edmund Käbisch Dompfarrer i. R.
Hölderlinstr. 8
08056 Zwickau,

Tel.: 0375 / 2 04 05 65
Fax : 0721 / 1 51 25 16 34
E-Mail: info@dr-kaebisch.de
Webpage: www.dr-kaebisch.de

Superintendent
Wolfgang Müller
Kirchstr. 20
01917 Kamenz

Lieber Bruder Müller,

vielen Dank für die Beantwortung meines Briefes und Ihrer Klarstellung, dass Sie bereits seit 1992 den Namen des IM „Kirchberg“ kannten und die Kirche entsprechend gehandelt hat. Dadurch wird der Dialog, den Sie mit Ihrem Interview in der Sächsischen Zeitung vom 6. März 2009 anregten, weitergeführt. Auf diese Weise können die unterschiedlichen Erfahrungen, Erlebnisse und Ansichten ausgetauscht werden, denn erst durch die Zusammenfügung unterschiedlicher Perspektiven im offenen Gespräch kann m. E. ein Gesamtbild der Kirche in der DDR-Gesellschaft entstehen. Sie als Superintendent und ich als Pfarrer können dazu wesentliche Beiträge leisten, wenn das Gespräch offen geführt wird.

Mir ist bekannt, dass Sie „ebenfalls Pfarrer in der DDR-Zeit“ waren und redlich versucht haben, Ihren „Verkündigungsauftrag als Pfarrer unter diesen schwierigen Bedingungen gerecht zu werden“. Das bestreite ich nicht, zumal ich weiß, dass fast alle Pfarrer sich bemüht haben, ihren Platz als Christ in der sozialistischen Gesellschaft verantwortlich wahrzunehmen.

Auf drei Aspekte möchte ich im Folgenden eingehen, da sie für mich symptomatisch für die Gesprächskultur in der sächsischen Landeskirche sind: erstens der Umgang mit der Öffentlichkeit, zweitens der Umgang mit Meinungsverschiedenheiten, und drittens der häufig formulierte Vorwurf der Kirchenschädigung.

1.Die Kirche ist im Rechtsstaat eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihr Reden, Handeln und Wirken sind öffentlich. Konspiration und Heimlichkeiten haben keinen Platz. Alles, was wir tun und sagen, muss daher öffentlich verantwortet werden. Die Medien haben in der demokratischen Gesellschaft die wichtige Funktion, diese Öffentlichkeit herzustellen, damit jeder Bürger urteilsfähig wird und sich am Diskurs beteiligen kann. Dazu kommt noch, dass wir als Christen auch an die Rechenschaftslegung vor Gott glauben, d.h. wir haben eine doppelte Verantwortung vor der Welt und vor Gott zu übernehmen. Wenn ich einen offenen Brief schreibe, dann nehme ich mir das 1989 errungene Recht als Staatsbürger, meine Meinung öffentlich zu sagen. Das Erkannte beim Namen zu nennen, gehört m. E. zum Auftrag eines jeden Christen und besonders eines ordinierten Theologen.

2.Sie wollen mir aufgrund einer Meinungsverschiedenheit das Brudersein absprechen. Das verwundert mich sehr, da Meinungsverschiedenheiten in der demokratischen und pluralistischen Gesellschaft erwünscht sind und m. E. auch in einer demokratie- und pluralitätsfähigen Kirche selbstverständlich sein sollen. Nicht die Vermeidung von Meinungsverschiedenheiten, sondern der kultivierte Umgang mit ihnen muss daher das Gespräch prägen. Zu diesem kultivierten Umgang gehört m. E., dass man nicht leichtfertig seinem Gegenüber die Würde als Glaubensbruder abspricht. Nach der lutherischen Theologie wird jeder durch die Taufe in die Familie Gottes hineingeboren und in eine Gemeinschaft aufgenommen. Somit sind Getaufte Geschwister und können unabhängig aller Verschiedenheit (in Herkunft, Geschlecht, Bildungsstand, Parteizugehörigkeit etc.) zueinander Schwester oder Bruder sagen – auch in der Öffentlichkeit. Ich gehe davon aus, dass Sie mir aufgrund einer Meinungsverschiedenheit nicht die in der Taufe begründete Gemeinschaft absprechen wollen.

3.Wenn einer bei der Aufarbeitung der jüngsten Geschichte seine Sichtweise darstellt und öffentlich äußert, fällt sehr schnell der Vorwurf, dass „damit der Kirche als ganzer Schaden entsteht“. M. E. verhält es sich genau umgekehrt. Schaden entsteht für die Kirche, wenn Missstände nicht erkannt, Verrat nicht offen benannt und Fehlentwicklungen nicht geändert werden. Die von mir angesprochene Geschichte ist nun einmal geschehen und gehört damit zur DDR-Aufarbeitung dazu. Die Kirche wird durch Schweigen, Wegsehen und Verharmlosung langfristig geschädigt und verliert an Glaubwürdigkeit, wenn historische Fakten nicht benannt werden oder aus einem falschen Seelsorgeverständnis heraus verschwiegen werden. Es scheint symptomatisch bei den Verantwortlichen unsere Landeskirche zu sein, dass unter dem Deckmantel der „Seelsorge“ eine öffentliche und sachliche Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte gescheut wird.

Für mich ist es legitim, im Zusammenhang unsere Ausstellung „Die Bibel in den beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts“, die bis zum 27. März 2009 in Oberlichtenau zu sehen sein wird, einen Vortrag mit dem Thema „Mein Pfarreralltag in der DDR“ zu halten. Als Zeitzeuge werde ich zur Finissage von meinem damaligen Ergehen berichten. Schade, dass Sie an diesem Tage dienstlich verhindert sind. Deshalb füge ich als Exposé meinen Vortrag hinzu. Ich würde mich freuen, wenn wir weiter über meinen Zeitzeugenbericht ins Gespräch kommen könnten.

Mit geschwisterlichen Grüßen

Käbisch