Aktuelles

2009-12-24

Weihnachten im Stasi Knast 1970

gefunden auf pi-news am 24. Dezember 2009

Mit meinem Bruder Eckhard hatte ich die Auslösemechanik für das Protestplaket gegen die Sprengung der Leipziger Universitätskirche gebaut. Nun saß ich schon acht Monate in der Stasi-Haft Leipzig Beethovenstraße.

(Von Dr. Dietrich Koch)

„Wenn Sie endlich einmal bereit sind, von sich aus wahrheitsgemäß auszusagen, melden Sie sich morgens beim Posten zum Vernehmer“, hatte mir Leutnant Donat gesagt. Am 24. Dezember 1970 war es soweit. Nach dem Wecken meldete ich mich beim Wachhabenden: „Zum Vernehmer.“

Als ich ins Vernehmungszimmer gebracht wurde, saß der Leutnant in freudiger Erwartung da:
„Herr Koch, Sie haben sich zum Vernehmer gemeldet? Sie haben mir etwas zu sagen?“
„Ja, ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges zu sagen: Es begab sich aber zu derselbigen Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augusto ausging, dass alle Welt…“ – Der Leutnant wurde unruhig, und ich kürzte: „Da machte sich auch auf Josef aus Galiläa …“
„Koch, was soll das“, unterbrach er mich. „Warten Sie, Herr Leutnant, ich bin noch nicht fertig; das Wichtigste kommt noch“, setzte ich fort: „… mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger“ – erregt erhob sich der Leutnant etwas von seinem Stuhl, so dass ich noch einmal kürzte: „… und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln …“
Der Leutnant brüllte: „Koch, Sie wollen mich wohl verarschen? Heute ist Heiligabend. Und gerade da lassen Sie mich wegen so was von zu Hause holen. Ich dachte, Sie wollten mir etwas Wichtiges sagen.“
„Aber das ist doch wichtig, auch für Sie“, erwiderte ich. „Das ist die frohe Weihnachtsbotschaft. Herr Leutnant, auch für Sie ist heute der Heiland geboren.“
Der Vernehmer guckte mich wie einen Irren an. Ich fuhr fort: „Jetzt weiß ich endlich, warum ich hier in Haft bin.“ – „Wegen Ihrer Straftaten, das ist doch klar“, schrie der Leutnant.
„Mir war es nicht klar“, sagte ich, „weil ich keine Straftaten begangen habe. Jetzt weiß ich, dass ich allein deshalb hier bin, weil Gott mich Ihnen geschickt hat, um Ihnen heute die frohe Weihnachtsbotschaft zu verkünden.“

Ein Protokoll wurde nicht aufgenommen. Der Leutnant ließ mich in meine Zelle zurückbringen.

„Heiligabend konnten wir die Glocken der nahegelegenen Peterskirche hören“ – hatte ich in einem Brief an meine Eltern geschrieben, den die Stasi wegen dieser verbotenen Mitteilung zurückhielt. Aber warum? Dass ich in der Beethovenstraße gefangen war, wussten sie. In der Erwähnung der Peterskirche eine Anspielung auf das Plakat gegen die Sprengung der Universitätskirche zu sehen, wäre reichlich paranoid. Ärgerte sich die Stasi, dass sie mich nicht vollkommen von der Welt isolieren konnte, und dass meine Wahrnehmung von Glockengeläut sie an eine Sphäre erinnerte, auf die sie keinen Zugriff hatte – auch nicht in der „Bearbeitung“ meiner Person?

Auch in der Peterskirche hatten wir bei Kantor Heinz Bernstein zu Weihnachten musiziert. Ich dachte sehnsüchtig an die Musik, die für mich untrennbar zu Weihnachten gehörte, und erinnerte mich an die Aufführungen der Bachschen Weihnachtskantaten in der Thomas- und der Universitätskirche und an die Freunde, mit denen ich sie zusammen erlebt hatte.

Am nahesten aber war mir die Schützsche Weihnachtsgeschichte aus unseren Aufführungen in der Nikolaikirche, in denen ich eine der beiden Blockflöten gespielt hatte. Anders als im jauchzenden Jubel der hochbarocken Oratorien mit Pauken und Trompeten hörte ich hier das ungeheure Elend des Dreißigjährigen Krieges nachklingen. Bei der sich im Schlusschor entfaltenden Freude über die Christgeburt wird schon auf die Kreuzigung verwiesen, und der Chor singt eine Danksagung für die Geburt und die von Schütz eindringlich beschworene Erlösung von des Teufels Gewalt – von des Teufels – des Teufels – von des Teufels – des Teufels Gewalt – von des Teufels Gewalt.

Nach weiteren 15 Monaten Verhören wurde ich verurteilt zu zweieinhalb Jahren Haft und anschließender unbefristeter Unterbringung in der Psychiatrie, „um dem Wiederholen derartigen Verhaltens vorzubeugen und damit die Gesellschaft vor staatsfeindlichen Angriffen zu schützen“ (Urteil 13.3.1972, S. 12). In meinem Urteil (S. 7) steht: „Der Angeklagte ist in den wesentlichsten Punkten des ihm zur Last gelegten strafbaren Verhaltens nicht geständig.“

(Dietrich Koch: Nicht geständig: Der Plakatprotest im Stasi-Verhör. Dresden 2008)


Bisher ein Kommentar:

#1 Wienerblut (24. Dez 2009 09:08)
… und die Nachfolger dieser STASI Schergen sitzen sich heute in Bundes- und Landtagen gutbezahlt die Ärsche breit anstatt ihre wohlverdienten Haftstrafen ab … warum man die SED nicht verboten, ihr Vermögen eingezogen und zumindest die Bonzen nicht eingesperrt hat wird mir ewig ein Rätsel bleiben …